Explosion 1

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Allgemein, Deutschland

Explosion 1

So schnell kann’s gehen: Ein Unfall, ein Unglück – in diesem Fall eine Explosion.
Im einen Moment bummelt man noch vergnügt Richtung Hafen, um dort einen Kaffee zu trinken, im nächsten steht man mittendrin in einer schwarzen Rauchwolke und ist wenige Sekunden nach der Explosion Zeuge eines heftigen Brandes und eines komplexen Rettungsgeschehens.
So geschehen und erlebt am Karfreitag in Waren (Müritz), wo am Nachmittag eine Yacht aus bisher ungeklärten Gründen explodierte, kurz nachdem die Familie, die die Yacht gechartert hatte, mit  ihrer Tochter von Bord gegangen war. Das Boot stand sofort in hellen Flammen, die sich auf eine weitere Yacht ausbreiteten. Eine Leichtverletzte; Sachschaden: mehrere hunderttausend Euro.

Plötzlich gehört man zu den Schaulustigen.
Was tut man da als begeistert Fotografierende?
„Man“ tut das, was „man“ ansonsten schon oft bei anderen verurteilt und sogar verachtet hat: „Man“ sucht sich den besten Standpunkt, geht mit dem Geschehen mit – und fotografiert.
Als eine von Hunderten, die alles, was sie an Handys und Kameras aufbieten können, auf das Geschehen richten …

Ich bin hin- und hergerissen, was mein eigenes Verhalten angeht, und deshalb würde mich Eure Meinung interessieren – wirklich sehr interessieren:
Tut „man“ das? Bleibt „man“ überhaupt stehen? Fotografiert „man“ da? Macht es einen Unterschied, ob Opfer zu beklagen sind oder – wie in diesem Fall – keine? Gibt es ein „richtiges“ Verhalten? Was hättet Ihr getan?
Habt Ihr Antworten?

 

3 Kommentare

  1. Dazu fällt mir folgende Geschichte ein:
    Ich war mit meinem letzten Freund frisch zusammen und wir fuhren
    gemeinsam in meine Heimatstadt, ihn meiner Familie vorstellen. Auf der Strecke wirft sich jemand vor den Zug, stirbt. Irgendwann kommen wir an der Unglücksstelle vorbei, und alle starren, auch mein damaliger Freund.
    Ich war damals echt sauer auf ihn, dass er unbedingt gucken musste,
    dass ihn das irgendwie so interessierte, „aufgeilte“. Ich hab die
    ganze Zeit so gesessen, dass ich nicht gucken konnte, und immer an ihm
    gezerrt.
    Ich befriedige diese Neugierde, die ja jeder hat, mit Nachrichten und so, steht ja oft vieles bei spiegel.de – aber nicht im echten Leben. Wenn da ne echte Tragödie passiert, starre ich nicht. Ich würde auch nicht wollen, dass man sich, wenn mir etwas geschieht, an mir aufgeilt.
    Bei dieser Bootsgeschichte aber bei dir, das ist eine Grauzone, weil keine echte Tragödie. Kann man so oder so sehen.

  2. Du schreibst ja selbst von Lust – Schaulust. Und der liebe Nietzsche schrieb mal „Und alle Lust will Ewigkeit“ – da scheint mir der Zusammenhang zum Festhalten des Faszinierenden zu liegen. Gerade Unglücke mit Todesfolge sind besonders faszinierend, aber nur, wenn sie andere betreffen. Deshalb gibt es zwei „natürliche“ Reaktionen auf das Unglück eines anderen – entweder man rennt hin und hilft, rettet, tröstet, nimmt Anteil – oder man rennt weg – in der Angst vor Ansteckung.
    Das Dritte, was du hier beschreibst, ist die Starre – starr vor Schreck und das Starren auf den Schauplatz. Ein echtes Spektakel, so ein brennendes Schiff.
    Hier ist aber die soziale Distanz auch wichtig. Und das Fotografieren erschafft einen Abstand – räumlich und zeitlich.
    Ist man allerdings selbst betroffen, möchte man sich verstecken und in Ruhe gelassen werden.
    Wer ist „man“?
    Ich habe keine Kamera dabei, kann also nichts fotografieren, wenn ich so unterwegs bin. Ich habe auch kein Handy mit Fotofunktion. Wenn also die technischen Möglichkeiten da sind, wird „man“ zum Fotograf, d.h. jemand, der die Welt mittels Bilder beschreibt.

    • speysight

      Hm, reduziert der liebe Nietzsche da nicht die Möglichkeiten ein wenig? Manchmal kann man nicht konkret helfen, bleibt aber aus Sorge und Interesse beim Geschehen – durchaus mit Empathie. Die Gefahr, „sich anzustecken“, gehört m. E. eher zum „magischen Denken“ und wird nur in seltenen Fällen eine Rolle spielen, aber z.B. nicht bei Unglücksfallen, die sich nicht „ausbreiten“ können.
      Ich kann z B. auch nicht behaupten, in irgendeiner Weise starr vor Schreck gewesen zu sein, wobei ich sicherlich, wenn auch konkrete Gefahr für mich bestanden hätte, den „Schauplatz“ verlassen hätte, was gegen Starre spricht.
      Das Festhalten-Wollen trifft sicher zu – und auch der Versuch, das so lebendig, ausdrucksvoll und gelungen wie möglich zu tun. Das heißt, dass der Aspekt der Gestaltung mindestens so wichtig ist wie die Situation selbst. Wenn man es überspitzen will: Situation im Dienst der Gestaltung. Was ja wieder ein völlig aktives Geschehen ist. Die Situation auf den Punkt bringen … Selbstausdruck … Wobei ich da auch nicht hemmungslos bin: Ich fotografiere also nicht einfach „andere Leut'“, das finde ich distanzlos, und in Situationen menschlicher Tragik würde ich auch nie die Kamera benutzen – etc.
      Was mir in dem Zusammenhang noch gekommen ist: Du schreibst auch von „Lust“: Was ist das für eine Lust, die Millionen von Leuten dazu bewegt, live oder im Fernsehen Boxkämpfe mitanzusehen, bei denen sich Menschen aus Lust an der Freud gegenseitig zu Brei schlagen, oder Formel 1-Rennen, bei denen die Gefahr von Unfällen mit Todesfällen hoch ist.
      Das kann ich z. B. überhaupt und ganz und gar nicht. Wenn Menschen sich verletzen, dann kann ich nicht zusehen. Da gibt es bei mir keinerlei „Schaulust“.
      Ist das nicht auch eine andere „Lust“ als die, authentischen Lebensereignissen beiwohnen und sie dokumentieren, nein, präziser: sie gestalten zu wollen?
      Vielleicht trifft es das am ehesten: Es geht letztlich darum, den „Kern“ einer Sitation zu erfassen.
      Ohne Kamera wäre ich vielleicht tatsächlich weitergegangen.
      Also, mit der „Funktion“ des Fotografierens in der Situation schlag‘ ich mich echt herum. Ich habe mit acht eine Kamera geschenkt bekommen – und „peng“, das war’s …

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