Weihnachten: Beginnen dürfen
Weihnachten ist für mich, eigentlich immer schon, ein eher wirklich „dunkles“ Fest gewesen. Das hat mich lange Jahre lang irritiert und gestört, weil dieses Erleben so gar nicht dem geläufigen Trend folgt. Aber ich habe mittlerweile begreifen dürfen, dass diese Art, Weihnachten zu erleben, eigentlich dem Inneren des Festes viel eher entspricht als die Überbetonung des Hellen, überschwänglich Freudigen. Dass diese Art realistischer ist. Es hat schon seine Bedeutung, dass Weihnachten in den dunkelsten aller Tage des Jahres gefeiert wird.
Was Weihnachten geschieht, ist doch dies: In tiefster Not, in dem Moment, in dem es am allerdunkelsten ist, in der schwärzesten Nacht, kommt ein Kind auf die Welt, ein kleines Lichtlein, ein Potenzial, eine Hoffnung – ganz klein und nackt und unscheinbar. Man muss danach suchen, um es zu finden, und es ist vor allem dies: nicht gesichert und sehr sehr gefährdet.
Natürlich ist in diesem kleinen Licht schon die unendlich explosive Leuchtkraft der Erlösung enthalten, aber bis die sich entfalten kann in ihrer ganzen Fülle, ist ein langer, anstrengender und gefahrvoller Weg in Ungewisse, Unbekannte notwendig.
Weihnachten ist also das Fest dieses Samenkorns an Erlösung, dieser kleinen Hoffnung, die aufscheint im tiefsten Dunkel. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein Fünklein, das im Moment eigentlich nur besagt: „Siehe, es gibt Hoffnung; es ist nicht alles verloren. Ich bin geboren. Ich bin jetzt da, und ich bin der Weg.“
Die Überbetonung der Freude und des Lichtes zur Geburt Christi läuft Gefahr, dieses Faktum zu übersehen, dass Weihnachten das Fest eines Beginns ist – eines unerwarteten, wunderbaren, aber auch zutiefst gefährdeten Beginns, einer Lebensrettung auf Messers Schneide in tiefster Not, die Hoffnung auf Überleben macht – aber nicht schon auch sofort das Fest der Gesundung und der Erlösung ist.
Hier beginnt Weg, hier darf und kann er endlich beginnen – aber er führt zunächst ins Ungewisse, Unbekannte. Natürlich ist dieser Weg auch schon das Ziel. Aber Mogeln gilt nicht: Weg ist auch Weg – und er will gegangen sein.
Die naive Überbetonung der Freude und des Lichtes zu Weihnachten und gar schon im Advent nimmt den Ausgangspunkt der Reise, das Aufscheinen des wegerhellenden gefährdeten Lichtleins, bereits für das Ergebnis, das Ziel, die Erlösung – im Überspringen des Weges, des Prozesses dazwischen, so wie es immer geläufiger wird, Ostern ohne Karfreitag haben zu wollen.
Weihnachten ist ein Fest mitten im Dunkel der Nacht! Das Fest des Beginnen-Könnens in Todesnöten – und das ist für mich kein Fest des naiven Jubels oder der Sentimentalität. Das ist für mich eher ein elementarer Überlebens-Moment, ein Augenblick des erstmalig möglichen erleichterten Aufseufzen-Könnens: „Gerade noch mit dem Leben davongekommen! Das war haarscharf. Und jetzt los – dem Licht nach!“ –
„Weihnacht’ wie noch nie“, das heißt „Beginn wie noch nie“ – das ist unendlich mehr, als im Dunkel der Nacht erwartet.
Und so kann ich meine Erlebnisweise des „dunklen Festes“ als für mich stimmig ausdrücken und annehmen:
Weihnachten: Keine Sentimentalität. Keine Euphorie. Tiefste Nacht. Plötzlich ein winziges Licht. Leben wird möglich. Unendliches Aufatmen. Aufbruch, Aufbruch ins Ungewisse – aber auf einem Weg mit Leuchtspuren …