Chemnitz – Kulturhauptstadt 2025: C_The_Unseen
Schon einmal in Chemnitz gewesen?
Wir bisher nicht, obwohl wir den Osten Deutschlands und auch Europas seit 1991 wirklich ausgiebig bereist haben.
Aber Chemnitz?!
“Aber warum Chemnitz?!” werden sich auch vermutlich etliche gefragt haben, als die Wahl der “Kulturhauptstadt Europas 2025” auf diese Stadt traf, die bis dahin ein eher unbeachtetes Leben irgendwo südlich zwischen Dresden und Leipzig geführt hatte.
Genau aber aus dieser “Unscheinbarkeit” einer mittleren Großstadt im tiefen Osten Deutschlands hat Chemnitz ein Programm gemacht – und das mit Erfolg.
C_THE_UNSEEN
Wie treffend – und auch mutig – dieses Motto!
Aus einem “Makel” wurde offensiv ein Vorteil gemacht. Neugier wurde geweckt. Chemnitz und die ganze Region wurden sichtbar – und haben tatsächlich eine Menge Kulturtouristen angezogen. Viele kamen zum ersten Mal nach Chemnitz und Umgebung – und waren positiv überrascht.

Im 19. Jahrhundert wurde Chemnitz zu einer der bedeutendsten Industriestädte Deutschlands, vor allem zu einem Zentrum des deutschen Maschinenbaus. Wegen der Rauch- und Schmutzentwicklung durch die große Zahl an Schornsteinen, Fabriken und Gießereien erhielt Chemnitz den Beinamen „Sächsisches Manchester”.
Nach dem 2. Weltkrieg musste Chemnitz wie Phönix aus der Asche quasi komplett neu entstehen. Die Zerstörung der Stadt durch einen desaströsen Luftangriff – und das erst am 5. März 1945 – war ein traumatisches Ereignis, das bis heute in Erinnerung geblieben ist.
Das Stadtbild von Chemnitz, das auf Wunsch der DDR-Regierung 1953 umbenannt wurde in “Karl Marx Stadt” und bis 1990 so hieß, ist bis heute unausgewogen. Die verbliebene und gut restaurierte kleine Altstadt steht schon in großem Kontrast zu neuen Einkaufszentren mit z.T. spiegelnden Glasfassaden.ㅤㅤㅤ
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Gehen wir durch die Innenstadt …
Von unserem Parkplatz unweit einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt, von der gesondert im nächsten Beitrag die Rede sein wird, erreichte man schnell das Hochhaus des Congress Hotels und durch eine Parkanlage den Roten Turm, das älteste Bauwerk der Stadt.

Direkt angrenzend an den alten Turm gibt es das erste Einkaufszentrum – natürlich benannt nach eben diesem Wahrzeichen der Stadt.

Gegenüber dem Einkaufszentrum ein Glaspalast – leider im Moment hauptsächlich leerstehend. Galeria Kaufhof schloss dort 2024 seinen Standort in Chemnitz. Jetzt sollen wohl Verwaltungen der Stadt dort einziehen. Von den reizvollen Spiegelfächen des Gebäudes wird noch die Rede sein.
Wir gehen zunächst geradeaus auf den großen Marktplatz neben dem Neuen Rathaus (1911), auf dem am Wochenende unseres Besuches ein großes Weinfest stattfand. Auf dem Rückweg besuchen wir dann auch die Rathausstraße, die hier links abgeht und zum Bahnhof führt.



Das Neue Rathaus (1911) grenzt direkt an das spätgotische Alte Rathaus (1496-1498). Hier wird gerne geheiratet, auch bei unserem Besuch. Diese Gebäude wurden ebenfalls beim Bombenangriff 1945 maßgeblich zerstört. In unmittelbarer Umgebung gibt es noch einige nach der Bombardierung verbliebene, gut restaurierte Altstadthäuser – leider nur eine Handvoll.





Das Alte Rathaus ist – rechts um die Ecke – direkter Nachbar der Jakobikirche – oder korrekt: Ev.-Luth. St.-Jakobi-Kreuz-Kirchgemeinde.
Nach romanischen Vorgängerbauten entstand nach 1350 die dreischiffige Hallenkirche. Der wunderschöne Chor wurde 1405/1412 angefügt. Durch die Jahrhunderte erfuhr die Kirche samt ihrer Orgel eine sehr wechselvolle Geschichte u.a. mit Bränden und Umbauten nach dem jeweiligen Geschmack der Zeit
Auch die Jakobikirche ist natürlich im März 1945 bombardiert worden. Sie gehörte zu den am schwersten zerstörten Bauten der sächsischen Landeskirche. Die Restaurierung zog sich Jahrzehnte hin. Erst ab 2004 erfolgte z.B. der endgültige Wiederaufbau des Kirchenschiffes.



Gedenkstein mit bei der Bombardierung der Kirche verbrannten und verkohlten Resten eines Kreuzes

Die Jakobikirche gehört zur “Internationalen Nagelkreuzgemeinschaft”: 1940 wurde die mittelenglische Stadt Coventry durch deutsche Flugzeuge dem Erdboden gleichgemacht. Auch die Kathedrale von Coventry wurde größtenteils zerstört. Wider Erwarten erzeugte das dort den Ruf nach Versöhnung und Frieden. Aus drei Nägeln, die in den Ruinen gefunden wurden, entstand ein Nagelkreuz. An über 250 Orten in der ganzen Welt wird mittlerweile mit diesem Symbol der Zerstörung und der gleichzeitigen Hoffnung auf Frieden gedacht. Der Begriff “to coventry” ist bis heute im Englischen geläufig für kulturzerstörende Kriegsgewalt.


Hinter der Jakobikirche gibt es einen Durchgang, in dem sehr kontrastreich Alt auf Neu trifft – Gotik auf Einkaufszentrum – und man findet sich auf dem Marktplatz mit dem Weinfest wieder.

Weinfestbuden erlebte ich als undankbares Motiv – aber die Spiegelungen der Buden in der monumentalen Glasfassade des leerstehenden Galeria-Gebäudes haben mich fasziniert.
Auch die Türme der kleinen Altstadt spiegeln sich hier aufs Schönste. Vielleicht gar nicht so falsch, an dieser Stelle solch einen Glaspalast zu bauen …








Hinter dem ehemaligen Galeria-Glasbau geht rechts noch eine zentrale Straße ab: die Rathausstraße – mit einigen Geschäften und Imbissen, vor allem aber mit der Zentralhaltestelle der Bahnen. Am Ende der Straße erreicht man den Hbf.
Die Spiegelungen durch die Glasfassade des ehemaligen Kaufhauses werden hier noch ganz enorm verstärkt durch Überdachungen – ebenfalls aus Glas.
Man kann sich den ganzen Spiegeleffekten in dieser Straße gar nicht entziehen.



Die Rathausstraße zurückgehend, erreicht man wieder den Marktplatz mit dem Neuen Rathaus und dem Einkauszentrum “Roter Turm”.



Auf dem Weg zurück zu unsrem Parkplatz sehen wir noch einen der alten Straßenbahnwagen, mit denen man Rundfahrten durch die Stadt machen kann.

Chemnitz war durchaus eine Entdeckung – nicht glatt, nicht spektakulär, aber bunt und lebendig. Natürlich gab es auch ein ausführliches Erlebnis- und Kulturprogramm im Jahr der “Kulturhauptstadt Europas 2025”. Das ist bald schon wieder Geschichte …
Auf jeden Fall ist “C_THE_UNSEEN” sichtbar geworden – und das nicht nur in Deutschland.
